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Monday, September 18, 2006

Skinheads in grauen Anzügen

Gewalttätige Übergriffe auf Journalisten bei der NPD-Wahlparty in Schwerin.
Der Platzplatz vor der weißen Baracke mit der Aufschrift „Pension am Flughafen“ in Anklam wirkte gestern nachmittag wieder wie ausgestorben. Nichts war mehr von dem Trubel der letzten Tage zu spüren, als dort die Wahlkampfzentrale der NPD unter Führung von Holger Apfel und Matthias Rochow untergebracht war. Wahlhelfer aus dem gesamten Bundesgebiet hatten das Gelände bevölkert, Busse aus Dresden fuhren NPD-Material durch die Lande. Sonntag vormittag gegen zehn Uhr bestieg die NPD-Mannschaft zwei schwere schwarze Audis und fuhr zur Wahlparty nach Schwerin.
In den letzten Tagen des Wahlkampfes hatten Apfel und Co. noch einmal versucht, alle Register zu ziehen: das kleine Sportflugzeug eines sächsischen NPD-Anhängers schwebte über das flache Land bis zum Schweriner Schloss, im Schlepptau ein Banner mit der Aufschrift „Wählt NPD“. Zahlreiche Wahlkampfhelfer beschallten aus Lautsprecherwagen heraus die Bürger von Greifswald und der Insel Usedom. Es wurden die letzten Reserven an Plakaten aufgehängt und Flugblätter von Haus zu Haus verteilt.
Während viele der regionalen NPD-Spitzen am vorhergehenden Freitag zur Beerdigung von Uwe Leichsenring nach Sachsen gefahren waren, versuchten Direktkandidat Andreas Theißen und Kameraden an einem kleinen Infostand in Hagenow, Wähler mit Kaffee und Kuchen zu locken. Wie uniformiert trugen alle agierenden Neonazis gebügelte karierte Hemden über ihren Tattoos. Auf die Frage, was Theißen 1996 mit dem Sprengstoff, der bei ihm gefunden wurde, vorhatte, schwieg der aggressive Neonazi. 1999 hatte das Amtsgericht Hagenow den ehemaligen Wiking-Jugend-Aktivisten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Am Sonntagabend während der Wahlparty fiel Theißen als NPD-Ordner wieder aus der Rolle und griff einen Kameramann des NDR vor den Augen anderer Medienvertreter tätlich an. Gegen ihn laufen jetzt Ermittlungen wegen Körperverletzung.
Für den Wahlkampf im Raum Ludwigslust hatten Udo Pastörs und Co. extra ein Haus in Groß Krams für angereiste Wahlhelfer angemietet. In dem kleinen Dorf bei Hagenow wurde die NPD mit über 26 Prozent stärkste Partei.
Im „Nationalen Wohnprojekt“ von Alexander Wendt in Salchow bei Anklam waren zahlreiche Helfer untergebracht, unter ihnen auch der mehrfach vorbestrafte Christian Hehl aus Ludwigshafen. Einige Anwohner sympathisieren inzwischen offen mit den Neonazis im Dorf.
Landesweit waren die Wahlhelfer zu absoluter Zurückhaltung verdonnert, keine Gewaltaktion irgendeines Skinheadhelfers sollte den Einzug der NPD in den Schweriner Landtag mehr gefährden. Als die Polizei jedoch am Samstagabend den Ort Salchow absperrte, weil sie Hinweise auf eine Naziparty erhalten hatten, reagierten die anwesenden Kameraden gereizt – zumal alle Feiern erst für den Wahlabend geplant waren.
„Kein Mann der Worte, sondern der Taten“
Die Kameradschaften des „Sozialen und Nationalen Bündnis Pommern“ unter Tino Müller und Michael Gielnik führten in der Uecker-Randow-Region einen eigenen Wahlkampf, unabhängig von den NPD-Spitzen in Mecklenburg. Flächendeckende Plakatierung und zahlreiche kleinere Aktionen brachten Müller schließlich ein zweistelliges Ergebnis an Wählerstimmen. Jugendliche aus Ueckermünde berichten, dass es für nicht-rechte Schüler schwer sei in dem Ort. Hitlergruß und Nazi-Parolen seien an der Tagesordnung und Lehrer verhielten sich machtlos. Rechte Cliquen seien in der Jugendszene dominant. Die Neonazis um Müller treffen sich offen in einem Cafe am Marktplatz oder im Garagenlabyrinth an der Belliner Straße. Kameradschaftsaktivisten tragen ihr Logo „Aryan Warriors“ auf T-Shirts offen zur Schau.Im Schweriner Landtag dagegen wirkte Müller am Sonntagabend eingeschüchtert und überließ Michael Gielnik an seiner Seite das Reden. Mit hochroten Köpfen gaben die beiden Neonazis ein Interview nach dem anderen. Volkstümlich in Trachtenjacken gekleidet, konnte Müller nicht darüber hinweg täuschen, dass er mit der „National-Germanischen Bruderschaft“ eine der straffesten Kameradschaften führen soll. Der Maurer und Vater von zwei Kinder behauptet von sich, er sei „kein Mann der Worte, sondern der Taten“. Obwohl die NPD außerordentlich viel Mühe darauf verwandt hatte, den Ort der Wahlparty geheim zu halten, erschienen am Nachmittag bereits die ersten Pressevertreter vor den „Radeberger Bierstuben“, einem idyllischen kleinen Lokal am Faulensee, nur wenige hundert Meter vom Schweriner Schloss entfernt. Der Ordnerdienst von Manfred Börm verhinderte den freien Eintritt, die Neonazis wollten zunächst unter sich sein. Es schien, als wenn nur ausgewählte NPD-Helfer an der Feier teilnehmen durften, Kameradschaftsaktivisten waren kaum zu sehen. Nicht nur NPD-Kandidat Birger Lussow lief im grauen Anzug herum, auch ehemalige Skinheads wie Jens Pühse, der jetzt für den „Deutsche Stimme“-Verlag zuständig ist. Peter Marx und Stefan Rochow organisierten den Ablauf, da Udo Pastörs in Berlin weilte. Sie hofierten besonders Rolf Hanno aus Marbella. Der vermögende Rentner aus Marbella, der bereits den Schlosskauf der NPD in Trebnitz bei Halle finanzierte, hatte auch die mecklenburgische NPD mit einer Spende aus Geldnöten befreit. Parallel zur Feier am Faulensee, trafen sich die NPD-Kandidaten um Udo Pastörs im NH-Hotel in Schwerin-Krebsförden. Ein eigener Shuttle-Bus sorgte für die Verbindung. Als die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, schwappte die Stimmung der Neonazis über, nur Udo Pastörs wirkte hölzern wie immer. Mit 7,3 Prozent der Stimmen blieb das Ergebnis jedoch unter den Erwartungen der Neonazis, die bereits mit einem zweistelligen Sieg gerechnet hatten. Doch auch teure graue Anzüge konnten bei den anwesenden Skinheads und Neonazis nicht darüber hinweg täuschen wes’ geistiges Kind deren Träger sind. Kaum waren die ersten Wahlergebnisse bekannt, da schwappte die Gewalt schon über. Ein Kameramann wurde geschlagen, die Ordnertruppe drängelte und provozierte Medienvertreter, es gab zahlreiche lautstarke Drohungen vonseiten der Neonazis und schließlich wurde ein dpa-Fotograf angegriffen. Börms Truppe konnte kaum die eigenen Leute zurückhalten, als auch noch eine Gruppe von protestierenden Antifaschisten mit der Israel-Fahne vor dem Lokal aufzogen.Von den Kabarettisten der „Apfel-Front“ aus Greifswald, die die Nazis vor dem Schloss parodierten, anderen Gegenkampagnen vor Ort und dem riesigen Banner „Kein Sex mit Nazis“ vor der Staatskanzlei, hatten auch die NPD-Anführer nichts mitbekommen, weil sie den Schweriner Landtag heimlich durch den Hintereingang betraten.Thomas Wulff, der nur ein aussichtloses Direktmandat für Schwerin ergattert hatte, zeigte den Medien das Siegerzeichen und gab sich euphorisch. Begeistert gab er den Kamerateams Interview. Als ein RTL-Reporter ihn jedoch fragte, wie er heiße, antwortete er verdutzt: „Thomas Wulff, genannt Steiner“. Und welchen Posten er bekleide? Er sei Sekretär vom Bundesvorsitzenden, antwortete Wulff beleidigt. Als der Interviewer dann noch fragte „Sekretär von wem?“ ging Wulff wortlos.
Andrea Röpke

Quelle Bnr [18.09.06]