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Monday, May 21, 2007

Überzogene Hoffnungen

Was im Holocaust-Archiv in Arolsen lagert, ist längst bekannt.

Es schien gute Kunde, die da kürzlich aus Amsterdam in die Welt getragen wurde. Das Holocaust-Archiv des Internatonalen Suchdienstes vom Roten Kreuz (IKRK) im nordhessischen Bad Arolsen werde für Forscher aus aller Welt geöffnet. Damit würden Forderungen vor allem aus den USA endlich erfüllt. Paul Shapiro, der Chefhistoriker des US-Holocaust Memorial Museum in Washington, war einer, der am massivsten Druck auf den IKRK machte. Die „New York Times“ unterstützte Shapiro nachhaltig. Die Direktorin des Holocaust-Museums, Sara Bloomfield, ging noch ein paar Schritte weiter und sah im Archiv in Arolsen eine „große Narbe auf Deutschlands Image“. Einige deutsche Medien stimmten in den Chor ein. Im Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ des Hessischen Rundfunks durfte Shapiro im März 2002 drohen, man werde nicht ruhen, bis das Archiv definitiv geöffnet sei, als würden dort geheimste Dokumente der Forschung vorenthalten.

Demgegenüber ist Tatsache, dass in dem Archiv seit Jahrzehnten Wissenschaftler und Journalisten völlig frei arbeiten dürfen. Mag sein, dass das Eine oder Andere diskret behandelt wird, aber die Masse der 17, 5 Mio Menschen auf Karteikarten war zugänglich. Bei diesen Menschen handelt es sich um NS-Opfer: KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Verschleppte. Ihnen und ihren Angehörigen wollte das IKRK helfen. So wurde Arolsen zum Sammelplatz für Dokumente dieser Art, die vor allem bei der Suche nach Menschen helfen sollte und millionenfach geholfen hat.

Gewiss, es hat Kritik gegeben – berechtigte Kritik, besonders dann, wenn die Bearbeitung von Suchanträgen sehr lange dauerte. Daraus aber den Schluss zu ziehen, man halte bewusst etwas zurück, weckt Hoffnungen, die niemals in Erfüllung gehen können. Im Gegenteil: der erste Direktor des Archivs, Albert de Cocatrix, wollte Arolsen sogar zu einem internationalen Zentrum machen, um Informationen über neonazistische Umtriebe, antisemitische und rechtsextreme Aktivitäten zu sammeln. Simon Wiesenthal war einer der Befürworter dieses Projekts. De Cocatrix wurde von der IKRKZentrale in Genf abberufen und in den Ruhestand geschickt. Sein Nachfolger Charles-Claude Biedermann war weniger aktiv als de Cocatrix und beschränkte sich weitgehend auf Auskünfte. Wenn er ausländische Besucher abwimmelte, dann vor allem deshalb, weil er in dem großen Archivgebäude keine Fremden haben wollte.

Nun sind durch die Freigabe weltweit große Hoffnungen geweckt worden. Man erwartet Sensationen. Was in Arolsen lagert, ist aber längst bekannt. Da gibt es weder irgendwelches Geheimmaterial, noch werden Hinweise auf NS-Täter oder NS-Verbrechen unter Verschluss gehalten. Reisende, die sich nun auf den Weg nach Arolsen machen wollen, sollten die Kosten sparen. Sämtliche Dokumente sind digitalisiert und können – sofort oder in Kürze – im Internet abgerufen werden.