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Tuesday, May 29, 2007

Braune Kinderfänger

Die rechtsextreme „Heimattreue Deutsche Jugend“ veranstaltet völkische Freizeitlager für Kinder und Jugendliche und übt mit ihnen militärischen Drill. In der Organisation sind auch zahlreiche NPD-Funktionäre aktiv.


Pfingsten steht vor der Tür. Freie Schulzeit, die Aktivisten der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) nutzen wollen, um vom 25. bis zum 28. Mai Kindern und Jugendlichen in einem bundesweiten Pfingst-Zeltlager „ein Leben mit Tradititon und Werten“ für ein „unabhängiges Deutschland“ anhand von „körperlicher und geistiger Lebensführung“ beizubringen.

Viele Hunderte von Schulkindern und jungen Erwachsenen schlüpfen seit Jahren Wochenende für Wochenende in ihre dunkelblaue HDJ-Kluft, tauschen Kinderzimmer mit weißen Jurten und tauchen in eine konspirative völkisch-nationalistische Parallelwelt ab. Allein in diesem Jahr plant die rechtsextreme Jugendorganisation bundesweit über 25 Zeltlager, Seminare, Märsche und einschlägige Feiern. Die Ziele der HDJ formulierte der erste Bundesführer Alexander Scholz so: „Wir verpflichten uns Deutschland, indem wir geistige und körperliche Wehrhaftigkeit ausbilden“. Dafür erziehen HDJ-Funktionäre wie der jetzige Bundesführer Sebastian Räbiger aus Reichenwalde Jugendliche mit Themen wie Menschenführung, Rhetorik oder Lagersicherheit. Streng getrennt nach Geschlechtern werden die jungen Leute in völkischer Kleidung geschult und trainiert. Frühsport, 150-Kilometer-Märsche mit Gepäck und eine so genannte „Mutprobe“ gehören zum Programm der einschlägigen Lager.

Die Heimattreue Deutsche Jugend – Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V. existiert unter diesem Namen als eingetragener Verein beim Amtsgericht in Kiel seit sieben Jahren. Ihre Wurzeln sieht sie offiziell im Bund Heimattreuer Jugend beziehungsweise in der weit weniger bekannten Organisation Die Heimattreue Jugend. Aus taktischen Gründen versucht die HDJ insbesondere, bestehende Kontinuitäten zur 1994 verbotenen Wiking-Jugend zu verschweigen, denn im Erlass des Bundesinnenministeriums hieß es damals ausdrücklich: „Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Wiking-Jugend zu bilden.“

„Ersatzorganisation für die Wiking-Jugend“

Doch genau darum scheint es sich bei der Heimattreuen Deutschen Jugend zu handeln: um einen Ersatz der Wiking-Jugend (WJ). Experte Günther Frankenberg von der Goethe-Universität in Frankfurt bestätigte gegenüber dem ARD-Magazin „panorama“, die HDJ sei aus seiner Sicht „eine Ersatzorganisation für die Wiking-Jugend“. Dem anerkannten Juristen ist unverständlich, warum das Bundesinnenministerium „in diesem Fall nicht handelt“. Die Aussteigerin Tanja P. schickte zwei ihrer Kinder in HDJ-Lager und urteilt heute im Fernseh-Interview: „Die Kinder werden dort vorbereitet auf den zu erwartenden Straßenkampf, auf Demonstrationen. Und in diesem Sinne, im Sinne des Dritten Reiches, werden sie mit dieser Ideologie herangezogen.“

Tatsächlich beobachten nur drei der insgesamt 16 Landesämter für Verfassungsschutz die Aktivitäten der rechten Kinderfänger. Im Fall des aktuell vorgestellten Verfassungs- schutzbericht Mecklenburg-Vorpommern kann aber kaum von einer ernsthaften Warnung gesprochen werden, denn im Text wird nur von „sportlichen Aktivitäten und Spielen“ und davon, dass „mit Fanfaren und Trommeln musiziert“ wird, gesprochen. Immerhin ist den Schlapphüten in Schwerin aufgefallen, dass „zahlreiche Funktionäre und Aktivisten aus der NPD“ in der HDJ „mitwirken“ und Einfluss nehmen. Tatsächlich sind auffällig viele aus der Führungsriege der NPD in Mecklenburg-Vorpommern in der HDJ-„Einheit Mecklenburg und Pommern“ gezählt.

Auch die Landesämter für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und Thüringen sehen anscheinend keine Notwendigkeit, nach der HDJ zu sehen. So heißt es in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Landtag in Düsseldorf im Herbst 2006 lapidar, es lägen „keine Erkenntnisse vor“, die die Annahme begründen würden, bei der HDJ handele es sich um eine Ersatzorganisation der verbotenen Wiking Jugend. Gleichwohl sieht die Behörde auf Anfrage „Überschneidungen hinsichtlich der ideologischen Zielsetzung („völkisch-nationalistisch“) und der Zielgruppe („Kinder und Jugendliche“). Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beabsichtigt deshalb auch nicht, „derzeit“ in Richtung eines Vereinsverbotes „initiativ“ zu werden. Dabei gehört gerade die HDJ-Einheit „Hermannsland“ um den ehemaligen WJ-Gauführer Gerd Ulrich in Detmold zu den aktivsten Gruppen innerhalb der rechtsextremen Organisation. Zudem wurden in letzter Zeit Zeltlager im Bergischen Land und im Sauerland durchgeführt und die Einheit versucht verstärkt, Kinder aus dem nicht-politischen Spektrum anzuwerben.

In Thüringen registrieren die Behörden keine besonderen Vorkommnisse, obwohl dort bereits 2003 einer der 150-Kilometer-Märsche über den Rennsteig absolviert worden war, ein großes Pfingstlager mit 200 Teilnehmern in Sonneberg stattfand und kürzlich die Gründungsfeier der „Deutsch-Russischen Friedensbewegung-Europäischen Geistes e.V.“ in Pfersdorf bei Hildburghausen von der HDJ Thüringen mitorganisiert wurde. Auffällig viele ehemalige WJ-Unterstützer trafen sich dort, unter anderem Frank Rennicke, Jürgen Rieger, Thorsten Heise und Gerd Ulrich. In den HDJ-Einheiten Schwaben, Hessen und Franken sind routinierte Neonazis aktiv. So saß zum Beispiel Christine Ringmayer aus Alzenau für die NPD im Frankfurter Römer oder Petra Müller aus Calw, langjährige Anhängerin der „Artgemeinschaft“, gehörte zu den Mitbegründerinnen des „Ring Nationaler Frauen“ (RNF). Obwohl es auch immer wieder Straftaten aus den Reihen der HDJ gibt, ist wenig über deren bundesweites Netzwerk bekannt.

„Freizeitangebot für die ganze Familie“

Einzig die Verfassungsschützer in Berlin und Brandenburg warnen seit Jahren vor den Aktivitäten der HDJ, dort heißt es unter anderem: „Ähnlich wie bei der seit 1994 verbotenen Wiking-Jugend zielt das Lebensbund-Konzept der HDJ darauf ab, ein rechtsextremistisches lebensweltliches Freizeitangebot für die ganze Familie zu bieten.“ Der „Gedanke der Familiengemeinschaft“ wird an einigen Familien innerhalb der HDJ besonders deutlich, denn diese agieren bereits seit Generationen innerhalb der völkisch-nationalistischen Jugendarbeit, dabei handelt es sich beispielsweise um die Familien Nahrath und Börm. „Manche Ehepaare sind schon als Kinder gemeinsam auf Fahrt und Zeltlager gefahren. Eltern, die früher selbst einmal bei uns gewesen sind, schicken heute ihre Kinder auf unsere Lager“, schwadroniert die HDJ auf ihrer Internet-Homepage. Welche „frühere“ Organisation gemeint ist, darüber schweigt die HDJ sich wohlweislich öffentlich aus.

Viele der Funktionäre, die heute innerhalb der HDJ Kinder und Jugendliche schulen, waren schon in der Wiking-Jugend aktiv. Sebastian Räbiger, der heutige Bundesführer war bereits 1994 Gauführer Sachsen der WJ. Zur Zeit läuft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung bei der Staatsanwaltschaft Potsdam. In der Vereinszeitung „Flunkenflug“ appelliert Räbiger an die Kinder: „Wenn für Dich Dein Volk alles ist und Du bereit bist, für das, was du liebst, aufzustehen, alles zu wagen und zu kämpfen, dann ist Dein Platz bei uns! (…) Denn wenn Du nicht kämpfst, siegt der Schutt, der Neid und der Untergang. Damit die Schlechten nicht siegen, kämpfe mit uns an unserer Seite!“

1952 wurde die Wiking-Jugend von der Familie Nahrath, damals in Wilhelmshaven, später in Stolberg bei Aachen, angeführt. Bis zum Verbot blieb das Zepter in der Sippe. Dirk Nahrath aus Miltenberg, früher „Gauführer Franken“ der WJ, gehört heute zu den führenden Aktivisten der HDJ-„Einheit Franken“. Wolfram Nahrath, der letzte Bundesführer der WJ, hält sich bei der HDJ eher im Hintergrund. Dennoch scheint er wichtige Fäden zu ziehen, so gehört er zu den Organisatoren des alljährlichen „Märkischen Kulturtages“ der HDJ und anderer Gruppen. Auch Nahraths Schwager Manfred Börm aus Handorf, Mitglied im Bundesvorstand der NPD und Leiter des Ordner-dienstes war bereits als „Gauführer Nordmark“ bei der WJ, heute ist die ganze Familie des vorbestraften Politakteurs in der „Einheit Niedersachsen“ aktiv. Sohn und Tochter organisierten kürzlich einen Besuch des Salzmuseums in Lüneburg in Kluft mit HDJ-Fahne. Auch die HDJ- und NPD-Aktivisten Stefan Köster, Andreas Theissen und Eric Kaden aus Dresden waren Anhänger der WJ. Neben ihnen marschierte auch der heutige NPD-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, der heute gern Werbung für die HDJ macht.

„Kämpfer von fanatischer Besessenheit und zäher Ausdauer“

Nicht nur personell, sondern auch Inhaltlich drängen sich zahlreiche Parallelen zwischen Wiking-Jugend und HDJ auf. So ist die HDJ nicht weniger kämpferisch, im „Funkenflug“ heißt es 2005 unter anderem: „Wir brauchen eine Jugend, die hart ist. (…) Wir brauchen Kämpfer von fanatischer Besessenheit und zäher Ausdauer“. In der Vereinszeitung wird dafür die Taktik preisgegeben: „Wenn unsere Jugend wieder zur Bewegung werden soll, um einst das Ruder herumzureißen, dann muss sie in die Mitte des Volkes hinein…“ „Mein Glaube ist der Kampf“ gilt als eine der Parolen der HDJ. Ebenso wie die WJ idealisiert die HDJ die Hitler-Jugend, verehrt NS-Größen. So sei der große Traum von der „Volksgemeinschaft“ 1945 zerplatzt und aus „dem neuen sittlich hochstehenden, untadeligen und uneigennützigen Menschen wurde nichts mehr. Die letzten Reste des großen Traumes gingen 1945 in den Trümmern der Reichshauptstadt unter“, heißt es im „Funkenflug“. Zwei Jahre lang versuchte die HDJ, die verbotene Odalrune als Vereinszeichen juristisch einzufordern, ohne Erfolg. Die Rune war nicht nur Symbol der WJ, sondern auch der Hitler-Jugend. Manfred Börm hat sie sich aus Trotz gleich ins Haus eingemauert. Obwohl von der Straße gut sichtbar, wurde der Bauunternehmer bisher nicht belangt. Der fränkische HDJ-Aktivist Sven Ringmayer dagegen wurde für das Zeigen seiner verehrten Symbole 2006 zu einer Geldstrafe von 2 700 Euro verurteilt. In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem: „Ein Bild von Adolf Hitler in Ihrer Küche bringt ihre Gesinnung ganz gut zum Ausdruck.“

Ähnlich wie die WJ verwendet die HDJ Abzeichen wie den Adler mit ausgebreiteter Schwinge; Rangabzeichen wie Pfeifenschnüre in verschiedenen Farben oder Ansprachen wie „Heil Dir!“. Vorbilder werden zumeist aus der NS-Zeit zitiert, so die BDM-Führerin und überzeugte Nationalsozialistin Jutta Rüdiger, der ehemalige SS-Sturmbannführer Erich Kern, Hitlers Lieblingspilotin Hanna Reitsch oder der SS-Dichter Kurt Eggers. Die HDJ pflegt auch bei allem scheinbaren Pfadfinder-Habitus einen militärischen Charakter. So wird von der Ostsee bis nach Franken allerorts Marschieren, Exierzieren und Strammstehen mit Kindern und Jugendlichen geübt. Bei Fackelschein schwören sie Treue, ehren deutsche Wehrmachtssoldaten und auch Angehörige der verbrecherischen Waffen-SS.

„Paramilitärisches Sommercamp“

Ein besonders militanter Ableger der HDJ zeigte sich bei Angehörigen im Nordwesten Niedersachsens. Als 200 Beamte Ende April über 20 Wohnungen von NPD-Aktivisten durchsuchten, fanden sie ein reichhaltiges Waffenarsenal, darunter nicht funktionsfähiges Kriegsgerät. Ausschlaggebend für die Razzia waren Fotos, die bereits im Herbst 2006 bei Angehörigen der „Freien Nationalisten Vechta“ um den Neonazi Christian Fischer, sichergestellt worden waren. Die Fotos dokumentierten ein „paramilitärisches Sommercamp“ der Neonazis in Wilsum an der holländischen Grenze , dort waren auch Scheinhinrichtungen nachgestellt worden. Unter dem Motto „Leben ist Kampf“ hatten neben anderen die beiden HDJ-Aktivisten Christian Fischer und Christian von Velsen an diesem Lager teilgenommen, dessen Ziel es sei: „jungen Nationalisten neue Kraft“ zu geben, „um sich dem maroden System der BRD weiterhin entgegen zu stellen“. Auf dem Stundenplan standen Frühsport, völkische Lieder, Schulungen, Überleben in der freien Natur, ein Nachtmarsch, eine Morgenfeier bei der die Fahne „feierlich gehisst“ wird sowie Spiele für den „Kampfgeist“. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen die 25 Teilnehmer des rechten Camps wegen Bildung bewaffneter Gruppen.

Rund zwei Wochen nach diesem Wehrsportlager halfen die HDJ-ler von Velsen und Fischer dann wieder, rund 80 Kinder und Jugendliche beim Sommerlager in Fromhausen bei Detmold völkisch auf Trab zu bringen. Die Szenekennerin Tanja P. weist auf die Gefahr hin, dass diese Kinder durch Druck und Drill der HDJ „irgendwann zwangsweise explodieren“ müssten. Experte Frankenberg beklagt gegenüber der ARD, es könne doch nicht angehen, dass „wir überall in der Schule, im Kindergarten, aufpassen, wer unsere Kinder erzieht“, aber, so Frankenberg, dann treten „im Freizeitbereich Leute auf, die Straftaten begangen haben, sich immer noch dazu bekennen“ − und Fazit: die schulen dann jahrelang ungehindert Hunderte von Kindern.