Unrühmliche Vergangenheit
An der deutschen Ostseeküste herrscht seit Monaten Hektik. Der G8-Gipfel in Heiligendamm scheint das einzige alles beherrschende Thema zu sein. Zu Recht, denn noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Sicherheitsmaßnahmen so gewaltig wie rund um die „Weiße Stadt“, wie Heiligendamm sich gern nennt. Dabei ist zumindest ein weiterer Fall von Hektik leider aus dem Blick geraten. Anfang April hat der Gemeinderat von Bad Doberan, wozu Heiligendamm gehört, über Nacht einstimmig einen historischen Beschluss gefasst: Adolf Hitler wird aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen.
Dieses überraschende Votum scheint freilich nicht im Gemeinderat angeregt worden zu sein. Vielmehr war in ausländischen Medien darüber spekuliert worden, ob Heiligendamm auch zu den vielen deutschen Städten mit Hitler als Ehrenbürger gehöre. Vermutlich war es der Beraterkreis um US-Präsident, der hier Klarheit schaffen wollte. Denn Bush in einer Stadt mit so einem Ehrenbürger – unvorstellbar, wenn die amerikanische Öffentlichkeit das erfahren hätte. Erinnerungen an den Besuch seines Amtsvorgängers Ronald Reagan auf dem deutschen Soldatenfriedhof Bitburg in der Eifel mit Gräbern von SS-Leuten wären unausweichlich lebendig geworden.
Das Ereignis in Heiligendamm wäre für etliche Badverwaltungen übrigens auch ein passender Anlass, in ihrer jüngsten Geschichte zu blättern. Da gib es nämlich noch viel aufzuarbeiten. Dass Hitler und sein Propagandaminister Joseph Goebbels gern in Bad Doberan waren, ist den Verwaltungen nicht anzulasten. Das gilt eher für die Tatsache, dass Doberan die erste Kreisstadt war, die schon 1932 Hitler bat, die Ehrenbürgerschaft anzunehmen. Hitler bedankte sich dafür mit einer Adolf-Hitler-Schule mit Ferienbau, Erziehungsbau, Kameradschaftshäusern und Sportstätten. Die blieben freilich in der Planung hängen, weil 1938 der Westwall Vorrang bekam.
70 Jahre ist es in diesen Tagen her, dass Juden nicht mehr an die deutsche Nord- und Ostsee reisen durften. Der entsprechende Erlass des Reichsinnenministeriums datiert vom 24. Juli 1937, wie die „Süddeutsche Zeitung“ jetzt herausgefunden hat. Aber schon Jahre zuvor hatten etliche deutsche Bäder sich alles Mögliche einfallen lassen, um jüdische Gäste loszuwerden. „Vor 1933 war der Bäder-Antisemitismus in erster Linie von Kur- und Badegästen ausgegangen, die auf Vermieter, Hotelbesitzer und Badeverwaltungen einen entsprechenden Druck ausübten“, stellt der Historiker und Erziehungswissenschaft Frank Bajohr in seinem lesenswerten Buch „Unser Hotel ist judenfrei“ fest. Die deutschen Bäder täten gut daran, sich zusammenzutun und einen Forschungsauftrag zu vergeben. Das würde ihnen bestimmt nicht schaden – im Gegenteil.
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