Kandidatenkür
Das Wochenende Mitte November stand für die niedersächsische NPD und die Freien Nationalisten ganz im Zeichen der kommenden Landtagswahl im Januar 2008. Am Samstag, den 17. hielten ab 9.00 Uhr rund 100 Neonazis eine Kundgebung in Georgsmarienhütte bei Osnabrück ab. Dort möchte Jörg Fischer aus Vechta als Direktkandidat antreten, gegen ihn läuft nach mehreren Hausdurchsuchungen ein Verfahren wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe. Gemeinsam mit seinem Kameraden Christian von Velsen organisierte Fischer auch die anschließend stattfindende zweite Kundgebung in seinem Wohnort Vechta. Fischer und von Velsen sind beide in der für die Kinder- und Jugenderziehung im braunen Lager zuständige „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) aktiv.
An diesem Samstag läuteten die Glocken von St. Georg in der Vechtaraner Innenstadt zur vollen Stunde besonders lange. Von bürgerlichem Protest war nichts zu sehen, aber junge Gegendemonstranten klapperten gleich neben der NPD-Kundgebung mit den Deckeln von Mülltonnen. An den Polizeisperren machten an die 300 Nazigegner mit lauter Stimme und Musikinstrumenten zudem großen Lärm. Eine Geräuschkulisse, die die Neonazis auf dem Europaplatz sichtlich nervte, denn trotz Lautsprecheranlage gingen die Redebeiträge von Christian von Velsen, Dennis Bührig aus Celle, Christian Worch, Thomas Wulff und Marcus Winter aus dem Weserbergland unter. Andreas Molau ließ sich entschuldigen, in Georgsmarienhütte wurde seine Botschaft an die Kameraden vom Band abgespielt. Der NPD-Direktkandidat für Vechta, Markus Pohl, fehlte ebenfalls. Pohl, kaufmännischer Angestellter mit Hooligan-Background, stammt ursprünglich aus Lengerich in Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder setzte sich Pohl für den Aufbau der Neonazi-Strukturen in Münster, Steinfurt, Osnabrück und Vechta ein – immer in Kooperation zwischen Kameradschaften und Partei. Auf der Homepage der NPD-Niedersachsen wird stolz verkündet, dass die Unterstützerunterschriften für den Wahlkreis Vechta bereits zusammengekommen seien.
In der Lüneburger Heide dagegen wird noch eifrig gesammelt. Direktkandidat für den Wahlkeis Soltau-Fallingbostel will der Anführer der Kameradschaft „Snevern Jungs“, Matthias Behrens aus Schneverdingen werden. Angeblich will auch Stefan Klingbeils kandidieren. Unterstützung bekamen die Freien Nationalisten vom NPD-Strategen Peter Marx und dem Leiter des Bundesordnungsdienstes Manfred Börm aus Lüneburg.
„Keks für das Deutsche Reich“
Nachhilfe für die potenziellen Wahlkreis-Kandidaten scheint bitter nötig. Viele der heute bemüht bieder auftretenden Neu-NPDler tummelten sich vor kurzem noch auf Kameradschaftsabenden oder Skinhead-Partys. Ihre parteipolitische Erfahrung ist begrenzt, der bürgerliche Auftritt in der Öffentlichkeit ungewohnt. Ausgerechnet in NPD-Zielgebieten, wirtschaftlich schwächere Regionen wie an der Nordsee zwischen Wilhelmshaven und Wittmund, muss sich die Parteiführung auf Neonazis mit unrühmlichem Vorleben und politischer Unberechenbarkeit verlassen.
Gegen den neuen NPD-Chef in Wilhelmshaven, Nico Ahlrichs, wurde bereits mehrfach polizeilich ermittelt. Ahlrichs war wie Manuel Wojtczak in der „Freien Jugend Ostfriesland“, später „AG Wiking“, aktiv. Beide nahmen an einer Maibaum-Feier in Carolinensiel vor zwei Jahren teil. Nachdem der Maibaum in Form einer Lebensrune errichtet worden war, verlief die Party mit „Sieg Heil“-Gegröle und Neonazi-Musik. Auf Filmmaterial ist zu sehen, wie Ahlrichs in die Kamera schreit: „Ich esse diesen Keks für das Deutsche Reich!“, Wojtczak sogar beim Pogo-Tanz den Arm zum Hitlergruß erhebt. Der Freie Nationalist und Anführer der Kameradschaft AG Wiking will für den Wahlkreis Wittmund kandidieren. Der 1981 in Gardelegen geborene Wojtczak ist nach Recherchen von Stop-Rechts in Wilhelmshaven mehrfach verurteilt, unter anderem wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung und Hausfriedensbruch sowie wegen versuchter vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung – ausgesetzt zur Bewährung.
Gewalttaten von rechts gehen im Nordwesten unter, dort gibt es weder Opferberatungsstellen noch mobile Einsatzteams. In Oldenburg läuft ein Prozess gegen einen 19-jährigen Neonazi aus Westerstede. Der Angeklagte schlug nach Ansicht der Staatsanwaltschaft mehrfach ältere Migranten auf der Straße, einem 15-Jährigen, der zur Hilfe kam, rammte er ein Springmesser in den Bauch. Während der Attacke beleidigte der Neonazi sein Opfer noch mit ausländerfeindlichen Parolen.
Den für die NPD interessanten Raum Cuxhaven decken erfahrene NPD-Wahlkämpfer wie Adolf Dammann und Fritz-Ulrich Bundt aus Stade mit ab. Der 1953 geborene Bundt, der auf Platz 10 der Landesliste kandidiert, blickt auf eine militante politische Vergangenheit zurück. Er war an mehreren Übergriffen beteiligt, pflegte nach Recherchen des Buchautors Jürgen Pomorin Kontakte zu Schlägerbanden, fuhr mit seinem Auto in eine Menschenmenge. Aus beruflichen Gründen bewegt sich der niedersächsische NPD-Schatzmeister als wichtiger Drahtzieher im Hintergrund, denn Bundt ist wie Dammann gelernter Bankkaufmann. Überhaupt versuchen viele der NPD-Kandidaten in Kleingewerbe und Mittelstand Fuß zu fassen. Es sind Bauunternehmer, Unternehmens- und Finanzberater, Antiquitätenhändler, Handwerker, Bäcker und ein Landwirt darunter. Ralf Tarnozek, der im Wahlkreis Bramsche bei Osnabrück kandidieren will, betreibt einen Armee- und Gotchashop.
Einen Hang zu Waffen haben auch die NPD-Wahlkämpfer Marc Reuter aus Bremervörde und Roman Greifenstein aus Munster bewiesen. NPD-Stadtrat Reuter gehörte zu den norddeutschen Führern des militanten „Stahlhelm-Kampfbund für Europa“, bei dessen Anhängern in der Pfalz Ende der 90er Jahre schwere Waffen gefunden wurden. Greifenstein saß Ende der 90er Jahre eine Haftstrafe wegen Gewaltdelikten ab, zuvor war er bereits mit Waffen aufgefallen. Greifenstein, der die „Freien Kräfte Munster“ im Internet mit der Reichsfahne in der Hand repräsentiert, will als Direktkandidat der NPD für den Wahlkreis Lüneburg antreten.
Hauptansprechpartner vonseiten der Freien Nationalisten ist für NPD-Spitzenkandidat Andreas Molau ein kleiner rothaariger Mann mit Nickelbrille: Dieter Riefling aus Hildesheim. Der überzeugte Anhänger des „Deutschen Reiches“ wirkt seit über 20 Jahren in der radikalen braunen Szene. Er war in der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (1995 verboten) und dem Blood&Honour-Netzwerk“ (verboten 2000) aktiv, führte die Kameradschaft Recklinghausen, sang in einer Skin-Band. Einem zivilen Polizisten zertrümmerte Riefling das Nasenbein. Seine Bewährung für Straftaten reichte bis Oktober 2004. Von Hildesheim aus steuert Riefling die Vernetzung der Freien Kräfte in Niedersachsen, bildet so genannte „Bürgerinitiativen für Zivilcourage“ und tritt als Direktkandidat für den Wahlkreis Hildesheim an.
„Ein Mann, der mit den Bürgern sprechen kann“
Ebenso rührig geht es zur Zeit in den Landkreisen Goslar und Osterode zu. Seitdem sich immer mehr Neonazis in Bad Lauterberg ansiedelten und dort auf alteingesessene bürgerliche NPD-Strukturen zurückgreifen können, wächst die rechte Szene dort mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein. Der ehemalige Skinhead Michael Hahn, der nach Verfassungsschutzangaben in der Vergangenheit auch an Schlägereien in Berlin beteiligt war, sitzt heute im Stadtrat von Bad Lauterberg. Allein vier Neonazis aus dem Ort sind auf der Landesliste der NPD vertreten, neben Hahn noch die Liedermacher Annett und Michael Müller, sowie der wegen Volksverhetzung verurteilte Carsten Steckel. In der Region gab es Übergriffe mit Verletzten, konspirative Veranstaltungen in einer Stammkneipe, eine Attacke auf einen aussteigewilligen Jugendlichen und jüngst ein gemeinsames Heldengedenken mit den Kameradschaften Northeim und Eichsfeld im Siebertal. In Harzvororten wie Vienenburg und Salzgitter bemühen sich NPDler und Kameradschaftsaktivisten, neue Strukturen aufzubauen.
Ruhig und ungestört lebt es sich in Groß Denkte, dem Wohnort des NPD-Spitzenkandidaten Andreas Molau im Landkreis Wolfenbüttel. Das Namensschild an dem unscheinbaren Einfamilienhaus ist Handarbeit aus Naturholz. Molau, schwärmt NPD-Bundesvorsitzender Udo Voigt, sei „ein Mann, der mit den Bürgern sprechen kann“. Ob der das in seiner Heimatgemeinde macht, bleibt fraglich. Dort scheint sich der NPD-Mann kaum einzubringen. Nur einer der Anwohner, direkt nebenan, kennt ihn: „Ein sehr netter Herr. Die NPD ist ja nicht verboten.“ Im Vereinsleben, weiß der stellvertretende Bürgermeister Jan-Christian Müller (Grüne), taucht „Herr Molau“ nicht auf.
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