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Sunday, December 28, 2008

Zweierlei Maß

Vor Gericht sind alle gleich – nur Polizeibeamte sind etwas gleicher

Pro Jahr werden in Hamburg etwa gegen 300 Polizeibeamte Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet – vor Gericht verantworten mußte sich allerdings in den letzten drei Jahren nur ein einziger. Die Staatsanwaltschaft entscheidet fast immer zugunsten der Beamten und stellt die Verfahren ein. Die Anwälte Andreas Beuth, Marc Meyer und Heinz-Jürgen Schneider forderten deshalb auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche die Schaffung eines von Staatsanwaltschaft und Polizei unabhängigen Untersuchungsgremiums mit weitreichenden Kompetenzen.

Der 70jährige iranische Journalist Fereydoun Gilani wurde bei der Demonstration gegen staatliche Repression am 15. Dezember 2007 in Hamburg Zeuge, wie die Polizei brutal gegen ein paar junge Demonstranten vorging. Gilani mischte sich ein, da ihm das vollkommen unverhältnismäßig erschien. Kurz darauf fand er sich auf dem Boden liegend wieder – ein Beamter hatte ihn mit einem sogenannten Kopfgriff gezielt zu Fall gebracht. Dabei wurde er so schwer verletzt, daß er auf einem Ohr 40 Prozent Hörfähigkeit verlor. Dieser Übergriff ist mit einer Serie von mehr als 50 Fotos dokumentiert.

Auf derselben Demo wurde einem 36jährigen Mann aus Hannover bei einem gezielten Schlag gegen den Kopf mit einem Tonfa-Schlagstock ein Ohr fast abgetrennt. Mit 50 Stichen konnte es wieder angenäht und so erhalten werden. Einer Demonstrantin wurde bei ihrer Festnahme das Nasenbein gebrochen. Alle drei erstatteten Anzeige, Gilani wird von Schneider vertreten, die beiden anderen von Meyer. In allen drei Fällen wurde bis heute gegen keinen Polizeibeamten Anklage erhoben, allerdings wird immer noch ermittelt.

Den drei Juristen zufolge laufen die Ermittlungen gegen Polizeibeamte indes lückenhaft und schleppend. Offensichtlichen Widersprüchen in Vernehmungen wird nicht nachgegangen. Und den Aussagen der Beamten und ihrer Zeugen wird mehr Glauben geschenkt als denen der Geschädigten und deren Zeugen.

Kommt es in Hamburg zu einem Ermittlungsverfahren gegen einen Polizeibeamten, wird damit zunächst die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) befaßt, die bei der Innenbehörde der Hansestadt angesiedelt ist. Deren Erkenntnisse werden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. »Genau da liegt das Problem«, erklärte Beuth. »Die DIE ermittelt an sich gründlich, doch in aller Regel werden die Anzeigen von der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Und es ist ein sehr kompliziertes und langwieriges Verfahren, einen solchen Fall gegen das Votum der Staatsanwaltschaft vor Gericht zu bekommen.«

Die drei Juristen fordern deshalb die Einsetzung eines von Polizei und Staatsanwaltschaft unabhängigen Untersuchungsgremiums, das mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist und im Zweifelsfalle auch ohne die Zustimmung der Staatsanwaltschaft das Gericht anrufen kann. Davon erhoffen sie sich eine objektivere Ermittlungsarbeit mit der Konsequenz, daß mehr gewalttätige Polizeibeamte für ihre Taten vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.

Quelle
Junge Welt [23.12.08]